Fremdgehen mit P.P.P

artnet Magazin/23. Dezember 2005

Die Rotunde der Pinakothek der Moderne in München schmückt ein neues Markenzeichen: „P.P.P.“, weiß auf rot gesetzt. Das unübersehbare, prägnante Logo steht für die Ausstellung P.P.P.- Pier Paolo Pasolini und der Tod, die das Haus zum 30. Todestag von Pier Paolo Pasolini zeigt. An dieser Stelle die Ankündigung einer Ausstellung über einen Filmemacher zu sehen, erstaunt. Haben sich die Initiatoren etwa im Themenkreis vergriffen? Oder sind der Leitung des Hauses jetzt schon die Ideen ausgegangen, so dass sie meint, mit den Kollegen vom Filmmuseum in Konkurrenz treten zu müssen? Fremdgehen mit P.P.P.? Die Kuratoren Michael Semff, Direktor der Staatlichen Graphischen Sammlung, und Bernhart Schwenk, Kurator für Gegenwartskunst der Pinakothek der Moderne, sehen das nicht so eng. In Zusammenarbeit mit Giuseppe Zigaina (der den entscheidenden Anstoß zu dieser Ausstellung gab) haben sie sich dem Gesamtwerk Pasolinis genähert. Entdeckt haben sie dabei eine facettenreiche Künstlerpersönlichkeit, die nicht nur als Filmemacher, sondern auch als Provokateur und Visionär, als Dichter, Schriftsteller, Zeichner und Maler die gesellschaftliche und künstlerische Auseinandersetzung gesucht hat und die eine mit der anderen ergänzte. Das Filmemachen, so hat es Pasolini immer wieder betont, sei für ihn nur eine logische Konsequenz gewesen, die Verlängerung seiner Arbeit als Dichter, die Visualisierung seiner Poesie.

Doch wie soll man diesen vielfältigen künstlerischen Kosmos ausstellen? Und vor allem, wie präsentiert man überzeugend Film im Museum? Das Filmmuseum in Frankfurt am Main hatte gerade in diesem Jahr mit einer ausgezeichneten Stanley-Kubrick-Retrospektive die Grenzen einer solchen Thematik aufgezeigt und war – wie manch andere Ausstellung dieser Art – in Kleinteiligkeit, Erlebniswelt und Requisitenschau hängen geblieben. In Frankfurt war es eine Ausstellung über Filme und Filmherstellung, in München will man jetzt den Focus auf das gefilmte Bild richten. Wie Michael Semff in seiner Eröffnungsrede zusammenfasste: „Wir sind eine Pinakothek, wir zeigen keine Filme, wir zeigen Bilder.“

Dass dieses den Kuratoren überzeugend gelungen ist, haben sie vor allem der Berliner Gruppe um chezweitz zu verdanken. Die Firma zeichnet nicht nur für das Ausstellungsdesign verantwortlich (irreführend als Szenografie bezeichnet), sondern auch für die gesamte Grafik, den Filmschnitt, das Layout für den Begleittext in Form einer Zeitung und die hervorragende Gestaltung des Katalogbuches. chezweitz, ein interdisziplinärer Verbund von selbstständigen Ausstellungsdesignern, Konzeptlern und Grafikern (für die Pasolini-Ausstellung sind es Rose Apple, Benjamin Meyer-Krahmer, Detlef Weitz, Birgit Noij und Domenic Müller) hat die Ausstellung in drei Themenbereiche gegliedert, die sie „Straße“, „Atelier“ und „Kino“ nennt.

Die „Straße“ – ein schwarz gestrichener, langer Gang – stellt Pasolini als öffentliche Person in den Mittelpunkt. Vorgefundene Ausstellungsvitrinen in der Wand sind zu Schaufenstern und Kinoschaukästen umfunktioniert worden und zeigen Prosa- und Lyrikveröffentlichungen, Publikationen über Film – die Freibeuterschriften, Ketzererfahrungen und Lutherbriefe – gezeichnete Storyboards und eine Pinnwand mit Fotos, auf der es einige Merkwürdigkeiten zu entdecken gibt. Ein anderer Schaukasten zeigt Filmbilder und Standfotos: Drehaufnahmen, private Momente am Set (Pasolini im Gespräch mit Ninetto Davoli, dem Geliebten und Darsteller in vielen seiner Filme) oder witzige Schnappschüsse wie der von Maria Callas, die belustigt und verstohlen einen Blick auf Pasolinis Hintern riskiert. Die gegenüber liegende Wand ist den biografischen Daten und dem zeitgleichen, für den „pasolinischen Kosmos“ wichtigen Weltgeschehen vorbehalten. Eine gelungen irritierende Platzierung der Ausstellungsmacher, denn man muss von links nach rechts lesen. Das ist ungewohnt, schärft den Blick und erschwert das oberflächliche Querlesen von Lebensläufen. Ist man bei 1975, dem Jahr der Ermordung Pasolinis, angekommen, hat man den Übergang zum „Atelier“ erreicht.

Ein sehr aufgeräumtes „Atelier“. Ein kabinettartiger, streng gegliederter, eher klinischer Raum mit zwölf Stahltischen und einer dominanten Trennwand in der Mitte. Dieser Raum ist den in Reihe gehängten Zeichnungen und Gemälden gewidmet, den Skizzen und Manuskripten, die zwischen den doppelten Glasplatten der Tische präsentiert werden. Pasolini als Zeichner und Maler ist wohl eher nur den Eingeweihten bekannt. So sind die gezeigten Arbeiten auch nicht für öffentliche Auftritte bestimmt gewesen, sondern es sind private Gesten, Abgezeichnetes, Ausprobiertes, Danebengegangenes und gnadenlos Überschätztes – wie der mit Rotwein bespritzte, so genannte „Callas-Zyklus“ von 1969. Was die Ausstellungsmacher jedoch mit diesen Bildern überzeugend veranschaulichen, ist das breite Spektrum, das den Künstler Pasolini auf seiner Suche nach Ausdrucksformen kennzeichnet.

Mit dem dritten und größten Raum „Kino“ nähert man sich dann endlich der Film-Ikonografie. Eine Installation aus zwölf Projektionsflächen, im Quadrat um eine Säule mit plüschigem Sofarondell gehängt. Man kann Platz nehmen und von dort aus eine 26-minütige Filmvorführung betrachten. Einen besseren Eindruck erhält man jedoch, wenn man sich in dem dunklen Raum bewegt oder von einer Ecke aus den Überblick behält. Kurze, ungeschnittene Sequenzen aus zwölf Filmen werden als Collage gezeigt: Wiederkehrendes, Verbindendes, parallel, versetzt, wandernd und dann auf allen Leinwänden das gleiche Motiv, wie das Kerkerfenster aus Mama Roma. Man sieht sich Küssende, sich Streichelnde, Kämpfende, Menschen vor trister Vorstadtarchitektur, auf staubigen Landstrassen, Slapstickmomente, Archaisches, Überhöhtes und Betörendes, Schlüssellochblicke, zentralperspektivisch geführte Kamerafahrten und langsame Kameraschwenks, die von Pasolini als technisch heilig, als Offenbarung bezeichnet wurden.

Gelungen der Moment, als zwölf Frauengesichter von den Leinwänden herab schauen. Markante Gesichter sind es, meist von Laiendarstellern, Strichern, Nutten, Dieben, wie Sergio Citti die Filmbesetzungen schmunzelnd beschrieb. Nur einmal, in der längeren Einstellung aus Salò (die Tanzszene mit Elsa Di Giorgi und Aldo Valletti) verärgert der Rhythmus der collagenhaften Überblendungen, der unsensible Schnitt der Bildvorgabe. Hier hätte man dem ruhenden Kamerablick Stand halten müssen und wäre so wohl Pasolinis Sichtweise gerechter geworden.

Giuseppe Zigaina, Freund und Weggefährte Pasolinis und Ideengeber der Ausstellung, sind die auf der Trennwand im „Atelier“ präsentierten Zitate ein besonderes Anliegen und entscheidender Hinweis auf den Kosmos des Künstlers. In der Typografie einer alten Schreibmaschine sind dort Statements von Pasolini zu lesen, Überlegungen und Visionen zur Gesellschaft, zum Kino und zum Tod, auch zum eigenen. Zigaina versucht seit 1986 durch Publikationen und Vorträge den Mord an Pasolini als von Pasolini selbst geplante Inszenierung öffentlich zu machen und insistiert, dass nur mit diesem Verständnis, aus der Perspektive des selbst bestimmen Opfertodes heraus, das Werk des Filmemachers in seiner Vielschichtigkeit zu entschlüsseln ist. Pasolini als Performancekünstler? Sein Leben ein Gesamtkunstwerk? Der brutale Mord – kein Drama wie das eines Rudolph Moshammer, sondern finaler Höhepunkt einer durchkomponierten Partitur?

Diese These ist nicht aus der Luft gegriffen. Geht man ihr und den vielen, plötzlich einleuchtenden Andeutungen und Äußerungen Pasolinis dazu nach, kann man erschreckend schnell von dieser Behauptung mitgerissen werden. Auch Giuseppe Pelosi, der damals 17-jährige Mörder, hat ihr in diesem Jahr wieder Aufwind gegeben, seine Tat publikumswirksam vor laufenden Fernsehkameras revidiert und damit eine erneute Untersuchung des Falles erwirkt. Die Kuratoren folgen der These nur flüchtig, sie interpretieren den im Titel der Ausstellung präsenten Tod eher als übergeordnetes, abstraktes Thema und weichen damit einem sicherlich riskanten, aber hoch brisanten Aspekt und Blick auf das künstlerische Gesamtwerk aus. Was ihnen jedoch mit ihrer Pasolini-Ausstellung lässig und eindrucksvoll gelingt, ist, dem Filmregisseur als Künstler einen überfälligen festen Platz in ihrem Museum frei zu räumen und damit – ganz nebenbei – die Grenzen der bisher vertraut scheinenden Museumslandschaft in Frage zu stellen.

Noch bis zum 5. Februar 2006 in der Pinakothek der Moderne, Kunstareal München, Barer Str. 40, 80333 München. Zur Ausstellung erscheint im Hatje Kantz Verlag ein Katalogbuch mit Beiträgen von Bernhart Schwenk, Michael Semff, Giuseppe Zigaina, Peter Kammerer, Roberto Chiesi, Loris Lepri, Benjamin Meyer-Krahmer, Marc Weis, 208 Seiten, 276 Abbildungen, 35,- Euro.

Ric Schachtebeck

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