Meerkühles Blau steht jeder Frau
Nicht Nähen und Zeichnen, Stoffe und Farben zählen:
Dem Modemacher Uli Richter zum neunzigsten Geburtstag


F.A.Z./28.12.2016/Feuilleton

Als „Mode-Schöpfer“, so hat es Uli Richter immer wieder betont, verstehe er sich nicht, eher als „Mode-Denker“. 1973 hatte die Journalistin Marietta Riederer diesen Begriff für Richter erfunden, und wer den Designer einmal während seiner Entwurfsphase erlebt hat, weiß, wie treffsicher sie ihn damit beschrieb. Richters Arbeitsweise ist eigenwillig. Er entwickelte seine Couture-Visionen nicht über Ideenskizzen, wie allgemein üblich, sondern ausschließlich über das Material, über Muster, Stoffstrukturen und Farben. Er erfühlte und erdachte in gewisser Weise seine Kreationen und überraschte mit unkonventionellen Doubleface-Reptil-Crêpe de Chine- und Chinchilla-Kombinationen. In den fünfziger bis siebziger Jahren erlangte er mit seinem innovativen Stil internationalen Ruhm und wurde einer der einflussreichsten deutschen Modedesigner der Nachkriegszeit.
Uli Richter wurde 1926 in Potsdam geboren und absolvierte nach Arbeitsdienst, Wehrmacht und amerikanischer Gefangenschaft eine Ausbildung zum Textilkaufmann. Doch schon bei seinem ersten Volontariat im renommierten Berliner Modehaus Horn zeigte sich, dass ein vielversprechendes Design-Talent in ihm steckte. Frech, beharrlich und zielstrebig, so die Legende, schmuggelte er einen eigenen Entwurf in die Kollektion. Das dunkelblaue Sommerkleid „Marcelle“ mit dem abgesteppten Plisseerock und dem braven weißen Kragen, den der Auszubildende keck an den Rand des Dekolletés versetzt hatte, wurde zu einem Verkaufsschlager, der selbst seinen Arbeitgeber erstaunte. Rolf Horn protegierte den jungen Uli und nahm ihn mit zu den großen Schauen nach Paris, öffnete ihm die Türen zur Modewelt und ließ ihn bald als Designer für seine Firma arbeiten. Der Mentor wurde zum Vorbild.
1952 wurde Richter als Chefstilist und Geschäftsführer von „Schröder & Eggeringhaus“, abgeworben, mit denen er nach kurzer Zeit zu „S. & E. Modelle/Uli Richter“ firmierte. Richter erntete Lobeshymnen mit seinen jugendlichen, vom funktionalen American Look und Collegestil inspirierten Modellen und holte mit seiner Haute Couture große Gewinne ins Haus. Selbstbewusst gab er in einem Interview bekannt: „Couturier kann man nicht werden wollen, entweder man wird es, oder man wird es nicht.“
Beim Prima Mondiale del Cotone überzeugte er die Jury mit einem roséfarbenen, mit Jasmin-Nerz besetzten Velvet-Abendmantel, der über einem aufwendig mit Perlen bestickten Etuikleid getragen wurde. Der Wettbewerb brachte ihm erste internationale Anerkennung und das preisgekrönte Abendensemble – von Starmannequin Gitta Schilling präsentiert und von Regi Relang fotografiert –, wurde zu einer Mode-Ikone der Fünfziger. Vom Erfolg bestätigt gründete Richter als Dreiunddreißigjähriger und jüngster Designer der Berliner Couturiers, mit seiner Geschäftspartnerin Dorothea Köhlich die „Uli Richter Modelle GmbH“ und bezog seine Firmenräume standesgemäß am Kurfürstendamm.
Richter glänzte mit einem außergewöhnlichen Gespür für ungewohnte Farbzusammenstellungen. Bei seiner ersten hauseigenen Kollektion dominierten Mokka-, Schokoladen-und meerkühle Blautöne, akzentuiert mit Lindgrün und gemäßigtem Giftgrün. Er bevorzugte gedeckte Farben, wie Braun-, Beige-, Ocker- und Grauschattierungen, konnte aber auch mit dem von Elsa Schiaparelli etabliertem Shocking Pink überraschen. Sein Markenzeichen war eine schlichte, sportlich-elegante, betont feminine Mode, die sich durch raffiniert verfeinerte Schnitte, bis zur Nuance perfektionierte Verarbeitung und hochwertige, sündhaft teure Materialien auszeichnete. Seine Linie überzeugte durch schnörkellose Eleganz und offenbarte sich im Understatement. Die raffiniert geschnittenen, weit schwingenden, ungefütterten Doubleface-Capes sind längst zu Pfeilern der Modegeschichte geworden und seine bis ins Detail arrangierten Kombinationen, wie das sportliche Ensemble von 1965 mit einem beigefarbenen Whipcord-Mantel, einem Rock aus haferflockenfarbenem Tweed, mit Pullover, Handschuhen und Strümpfen aus braunem, floral gemustertem Kaschmirimprimé und einem flotten Jockey-Hut, haben bis heute nichts von ihrer peppigen Frische eingebüßt.
Richter setzte sich vor allem mit seiner Abendgarderobe von seinen Couturier-Kollegen ab. Unerschöpfliches Lieblingsthema war das Cocktailkleid. Er wollte die alten Glanztage der Vorkriegszeit nicht wieder aufleben lassen, sondern verstand sich als Designer der neuen Zeit. Sein Blick richtete sich nicht ausschließlich nach Paris, sondern vorzugsweise nach Amerika, wo die New York Times ihn zum besten deutschen Designer gekürt hatte. Die Frauen vergötterten ihn und mit Hildegard Knef, Lilli Palmer und Anneliese Rothenberger hatten sie prominente Fans an ihrer Seite. Starfotografen wie Hubs Flöter, Rico Puhlmann und F.C. Gundlach setzten seine Couture in Szene, die Verlegerin Aenne Burda publizierte sie mit aufwendig produzierten Fotostrecken, und die französische Vogue adelte Uli Richter mit einem Titel. Das Modehaus prosperierte. Zusätzlich zu den Haute Couture Kollektionen wurde eine Prêt-à-porter-Linie eingerichtet, die erste in Europa. Richter wollte nicht nur Mode machen, so sagte er, sondern auch Mode verkaufen. Einen seiner größten Coups landete er 1970, als die Kanzlergattin Rut Brandt seiner Couture verfiel und sich auf dem politischen Parkett ausschließlich in seinen Roben und in seinem Styling zeigte. Richter wurde zum „Botschafter der deutschen Mode“.
Doch die Gesetzte der Mode sind kurzlebig. Ende der sechziger Jahre war die Anti-Haltung en vogue und das Bourgeoise verpönt. Das Provozierende, Schrille und Improvisierte wurden gepriesen. Die Mode hatte ihren elitären Charakter eingebüßt und die Haute Couture wirkte auf einmal wie eine verstaubte Reliquie aus einer längst vergangenen Zeit. 1982 gab Uli Richter, als letzter der Berliner Courtieres, die Schließung seines Unternehmens bekannt. Vier Jahre darauf folgte er einem Ruf der Berliner Hochschule der Künste. Als Professor für „Experimentelle Gestaltung im Bekleidungsbedarf“ holte er den Modezeichner Gerd Hartung und den Fotografen F.C. Gundlach ins Boot, besuchte mit den Studenten die großen Schauen in Paris und vermittelte Kontakte zur Textilindustrie. Er etablierte eine Modedesign-Klasse, die überregionale Beachtung fand und die nach ihm von Vivienne Westwood und Wolfgang Joop übernommen wurde. Richter unterhielt noch einen kleinen Modesalon in seinem Berliner Domizil, widmete sich der Aufarbeitung und Archivierung seines Lebenswerkes und übergab 2005 seine unschätzbar wertvolle, lückenlos katalogisierte Modesammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die Sammlung umfasst ein Konvolut von 660 Modellkleidern, Accessoires, Entwürfen, Schnitten, Journalen und Fotografieren und ermöglicht der Stiftung nunmehr, sich mit den Modeabteilungen anderer Museen zu messen.
2007 ehrte das Berliner Kunstgewerbemuseum den Modemacher mit einer beeindruckend präsentierten Retrospektive seiner Haute Couture. Eine aktuelle, von Katrin Lindemann ausgezeichnet kuratierte Modeausstellung im gleichen Haus zeigt derzeit Uli Richters Spektrum als Couturier, Lehrer und vor allem als einflussreichen Impulsgeber der Gegenwart. Die Schau spannt den Bogen von seinem ersten Modell-Entwurf „Marcelle“ über Semesterarbeiten seiner Studenten, bis hin zu angesagten Berliner Modelabeln, wie Steinrohner, Nobi Talai und Michael Sontag, die ausgesuchte Richter-Modelle dem Zeitgeist entsprechend interpretiert haben. Hier wird deutlich, wie klassisch-zeitlos und wie maßgebend die Couture des Modedenkers noch immer sein kann und wie inspirierend sie auf die gegenwärtige Designer-Generation wirkt. Heute wird Uli Richter neunzig Jahre alt.

Ric Schachtebeck

„Uli Richter Revisited – Modedenker, Lehrer, Inspiration“ bis zum 5. März 2017 im Kunstgewerbemuseum Berlin.

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